Das hätte sich Hitler sicher nicht träumen lassen für sein geheimstes Geheimprojekt. Mitten im Niemandsland an der polnisch-tschechischen Grenze hat die Europäische Union aus Glas und Edelstahl einen Begrüßungspalast für das gebaut, was vor 80 Jahren unter dem Decknamen "Projekt Riese" geplant und gebaut worden war.
Gebaut an den Ortsrand von Gluszyca Gorna, erinnert das Informationszentrum für Hitlers womöglich letztes Hauptquartier an den "Palast der Republik" in der ehemaligen DDR. Wer das "Projekt Riese" besuchen will, in Hitlers Reich ein Unternehmen, über das nicht gesprochen werden durfte, wird von einem modernen Großbau empfangen, der aussieht wie das Informationszentrum eines Zoos oder eines amerikanischen Nationalparkstiers. Dahinter erst öffnet sich die Tür in eine dunkle Zeit, über die, so sagt es Fremdenführer Jacek, bis heute nur sehr wenig bekannt ist.
Warum wurde hier gebaut, größer und aufwendiger als sonst irgendwo im 3. Reich? Was wurde gebaut? Zu welchem Zweck? Jacek sagt, niemand wisse es. "Es wurden keine Unterlagen gefunden, selbst die am Bau beteiligten wussten nur wenig." Es sollte ja ursprünglich auch geheim bleiben, was hier unter dem Decknamen "Riese" unter der Aufsicht der eigens zu diesem Zweck gegründeten Schlesischen Industriegesellschaft AG in den Fels gehämmert wurde. Ein Fabrikkomplex tief unter der Erde? Ein Führerhauptquartier? Lagerräume für Staatsschätze?
Im November 1943 begannen die Arbeiten an der Untergrundfestung im Eulengebirge, die aus sechs einzelnen und zum Teil unterirdisch miteinander verbundenen Bunkeranlagen bestehen sollte. Nach Ansicht des Hobby-Historikers Jürgen Heckenthaler sollte "Riese" ein Führerhauptquartier werden, auch Albert Speer, Hitlers Leibarchitekt und letzter Rüstungsminister, und Nikolaus von Below, acht Jahre lang Hitler Luftwaffenadjutant, nennen die unterirdischen Anlagen als geplanten Ausweichstandort für das Führerhauptquartier.
Doch eigentlich sind die über viele Kilometer reichenden Gänge, zum Teil Tunnel so groß wie Bahnhofshallen, dafür viel zu groß. Als Fabrikationsanlage für Hitlers V2-Rakete dagegen, auf die Jacek hinweist, sind sie zu klein. Die geflügelte Rakete ist zwar in einem Gang ausgestellt. So, wie sie da steht, könnte sie allerdings niemals hinaustransportiert werden, weil ausgerechnet hier, wo die von KZ-Häftlingen unter unmenschlichen Bedingungen in den Fels gehauenen Gänge den Namen "Riese" tragen, zu viel schmal sind.
Bei "Osowka", einem anderen Bereich des geplanten Höhlenverbundes, ziehen sich dagegen acht, neun Meter breite Gänge dahin, zum Teil schon verschalt, zum Teil noch im Auffahrzustand. Die Decke ist komplett gerundet, an beiden Gangseiten aber stehen noch Gesteinsstufen, die benötigt wurden, um an der Decke arbeiten zu können. "Einige Teile waren wohl zur Industrie-Auslagerung gedacht, wurden aber später umgewidmet", glaubt Heckenthaler, dessen Berechnungen zufolge sich "Riese" auf einer Fläche von circa 25 mal acht Kilometern erstreckt.
Genaue Angaben gibt es nicht. Auch im polnischen Dokumentationszentrum wird nur geraten über Sinn und Zweck des Baus, dem tausende Häftlinge zum Opfer fielen. Pläne und Dokumente seien durchweg verschwunden heißt es, man sei auf Vermutungen angewiesen.
Die einzelnen Anlagen, soweit immerhin ist der Kenntnisstand nach acht Jahrzehnten, sind sternförmig angeordnet, aber meist nicht untereinander verbunden. "Wenn ein Teil erstürmt worden wäre, hätten die Gegner sonst gleich zum nächsten durchmarschieren können", sagt Jacek. Teilweise ist das "Riese"-System mehrstöckig, teils bereits komplett ausgemauert.
Eine Verwendung als Flugzeugfabrik oder zur Produktion von "Geheimwaffen", wie sie der polnische Riese-Forscher Dariusz Garba vermutet, wäre auf große Probleme gestoßen: Einen Flugplatz in der Nähe gibt es nicht, die eigens bis hierher geführten Eisenbahnlinien wären aus der Luft jederzeit angreifbar gewesen, so dass der An- und Abtransport von Materialien und Fertigprodukten kaum reibungslos hätte ablaufen können. Dennoch: "Es gibt drei begonnene Fahrstuhlschächte, die 48 Meter tief reichen", hat Heckenthaler gezählt.
15.000 Arbeiter aus dem Konzentrationslager Groß-Rosen mussten "Riese" in den Boden graben, 5.000 von ihnen starben. Selbst Albert Speer zweifelte am Sinn des Unternehmens, das seinen Bemühungen um die totale Aufrüstung wertvolle Ressourcen raubte. "Projekt Riese verbrauchte mehr Beton als 1944 der gesamten Bevölkerung für Luftschutzbauten zugestanden werden konnte", schreibt er in seinen Memoiren.
Fertig wurde "Riese" trotzdem nie. Hitlers Assistent Nikolaus von Below gibt in seinen Erinnerungen an, er habe die Bauarbeiten bei einem letzten Inspektionsbesuch im Winter 1945 "endlich stoppen" können. Nach anderen Quellen allerdings wurde auch später noch am "Sonderbauprojekt" weitergearbeitet, das nach einem Brief von Speer an Hitler bereits Mitte 1944 150 Millionen Reichsmark gekostet hatte. Vier Mal so viel, wie das Führerhauptquartier "Wolfsschanze".